Für den Abschluss der Ausbildung zur Pferdephysiotherapeutin musste ich eine Facharbeit schreiben. Ich habe mir das Thema Ataxie beim Pferd ausgesucht, und habe euch hier einen Ausschnitt aus dem theoretischen Teil eingefügt. Dieses Thema ist noch nicht so gut erforscht beim Pferd, weshalb einige Quellen aus der Humanphysiotherapie und der allgemeinen Physiologie zusammengetragen sind.

Wenn ihr Fragen zu Behandlung und/oder Training eines ataktischen Pferdes habt, dürft ihr euch sehr gerne melden!

 

Aufbau des Nervensystems

Das Nervensystem ist die Grundvoraussetzung für ein vielzelliges aktives und reaktives Leben. Hier werden von einer zentralen Stelle aus Informationen in die Extremität gesendet, wo sie umgesetzt werden. Im Gegenzug werden vor allem sensorische Informationen aus den Extremitäten gesammelt und vor allem zentral verarbeitet.

Bei allen höher entwickelten Lebewesen wird das Nervensystem in ein zentrales und ein peripheres Nervensystem unterteilt. Das zentrale Nervensystem besteht aus „Gehirn und Rückenmark, die strukturell und funktionell untrennbar miteinander verbunden sind.“ ¹⁴ Als peripheres Nervensystem werden alle Nervenfasern bezeichnet, die außerhalb des zentralen Nervensystems verlaufen. Die sensiblen und motorischen Leitungsbahnen versorgen die Zielorgane der Peripherie mit Impulsen und leiten Informationen von dort zurück ins zentrale Nervensystem. ¹⁴

Sowohl das Gehirn als auch das Rückenmark sind jeweils in verschiedene Areale aufgeteilt. Das Gehirn besteht beim Pferd aus drei großen Bereichen. Das Rhombencephalon, das Mesencephalon und das Prosencephalon.

Das Rhombencephalon beinhaltet unter anderem die Medulla oblongata, die Pons und das Cerebellum. Das Cerebellum erhält sowohl über das Mesencephalon eine Kopie der corticalen motorischen Impulse,³ als auch alle Informationen aus dem gesamten Bewegungsapparat.¹² Somit ist es zuständig für die Überwachung der Lage des Körpers im Raum und passt diese über eine direkte Verbindung auf die Motoneurone im Rückenmark an aktuelle Anforderungen an. Dadurch ist es maßgeblich an der Bewegungsausführung beteiligt, da die Körperhaltung auf die durchgeführte Bewegung abgestimmt sein muss.¹²

Eine Läsion des Cerebellums kann zu einer zerebellären Ataxie führen, die sich vor allem durch eine Hypermetrie und Ataxie äußert.⁵ Durch die Beeinträchtigung in der Bewegungsinitialisierung kommt es häufig zu einem Intentionstremor, der sich im weiteren Verlauf der Bewegung zu einer Hypermetrie entwickelt, da die sensiblen Rückmeldungen der Extremitäten im Cerebellum nicht verarbeitet und durch neue Informationen korrigiert werden können.¹² Durch die fehlende Lagekorrektur des Körpers im Raum kommt es zu dem schwankenden und unkoordinierten Gangbild der Ataxie. Weitere Symptome betreffen den Ausfall oder die Dysfunktion von Hirnnerven, da diese ihren Ursprung im Bereich der Medulla oblongata, der Pons und dem Mesencephalon¹² haben. Eine solche Läsion tritt bei Pferden vor allem durch eine Intoxikation mit durch Endophyten kontaminiertes Heu auf und ist nach Futterumstellung innerhalb weniger Tage vollständig reversibel.⁵

Das Mesencephalon beherbergt die Basalganglien, den Nucleus ruber und den Nucleus niger, die einen großen Einfluss auf die spinalen und corticalen motorischen Regelkreise haben.¹² Sie sind Teil des extrapyramidalen Systems und können über die motorischen Vorderhornzellen Einfluss auf die spinale Motorik nehmen. Weiterhin stehen sie über die Pons mit dem Cerebellum in Verbindung, wodurch dieses eine Kopie aller motorischer Impulse des Cortex erhält.³

Das Prosencephalon wird in das Diencephalon und das Telencephalon unterteilt.

Im Frontallappen des Telencephalons befindet sich der prämotorische Cortex, in dem die Ausführung von Bewegungen geplant wird. Dieser Bewegungsplan wird im Cerebellum geprüft und eventuell verfeinert, bevor er zum Thalamus weitergeleitet wird. Von hier aus wird er zum motorischen Cortex verschaltet und als Bewegungsimpuls über das 1. und 2. Motoneuron an die ausführend Muskulatur gesendet.¹⁴ Der Thalamus befindet sich im Diencephalon. Nur Reize, die in dieser Struktur verschaltet und an ihre spezialisierten Hirnrindengebiete weitergeleitet wurden, können bewusst wahrgenommen werden.³ Als Teil des extrapyramidalen Systems steht er unter anderem auch mit dem Cerebellum in Verbindung, und kann somit modifizierend auf die Motorik wirken.³ Der Hypothalamus hingegen kann alle vegetativen Funktionen des Körpers kontrollieren und ist somit wichtig zur Aufrechterhaltung der Homöostase im Körper.³

Eine Läsion des Cortex, meist ausgelöst durch Enzephalopathien,⁵ kann eine Kortikale Ataxie zur Folge haben. Da sowohl der prämotorische Cortex in der Bewegungsplanung, wie auch der Motorortex in der Bewegungsinitialisierung betroffen sind, zeigen die Pferde neben einer deutlich ausgeprägten Schwäche, Hypometrie und Ataxie auch Absencen bis hin zum Koma.⁵ 

Im Bereich des Occiput schließt sich an die Medulla oblongata das Rückenmark an, welches im Querschnitt mittig durch die hohe Nervendichte grau und außen durch myelisierte Markscheiden weiß erscheint. Im Querschnitt zeigt sich weiterhin eine durch Ventral- und Dorsalhörner gebildete Schmetterlingsform. Die Ventralhörner beinhalten die motorischen Fasern, in den Dorsalhörnern werden die sensiblen Fasern verschaltet. Weiterhin gibt es im Bereich der Brustwirbelsäule einen Seitenstrang, über den die Nerven des vegetativen Nervensystems verschaltet werden.¹⁵

Das Upper-Motor-Neuron zieht vom Gehirn bis in das jeweilige Ventralhorn, wo es auf das Lower-Motor-Neuron verschaltet wird. Dieses zieht aus den Foramen intervertebrale durch seinen jeweiligen Plexus bis zum Zielmuskel, wo die zentral gebildete Bewegungsplanung ausgeführt wird.¹² Das zentrale Nervensystem beauftragt und kontrolliert somit eine bewusste Bewegung, die durch die Nerven des peripheren Nervensystems am Zielorgan ausgeführt wird. Unabhängig davon laufen Reflexe ab. Beim Muskeleigenreflex liegen Reiz und Reaktion in einem Muskel und die Verschaltung erfolgt segmental, wohingegen die Fremdreflexe über mehrere Segmente verschaltet werden, wodurch die Antwort in einem anderen Muskel erfolgen kann als der Reiz. Dennoch erfolgt eine afferente Weiterleitung über das Upper-Motor-Neuron, sodass die folgenden Bewegung durch die Kontrollinstanzen des zentralen Nervensystems koordiniert werden können.¹⁴

 

Definition Ataxie

Der Begriff Ataxie stammt vom griechischen Wort „ataxía“ und bedeutet frei übersetzt „Unordnung“. In der Medizin werden damit Störungen der Bewegungskoordination und der Gleichgewichtsregulation¹¹ beschrieben, die sich in ihrer unregelmäßigen Ausprägung von orthopädisch regelmäßigen Lahmheiten abgrenzen.⁵ Da aber vor allem untrainierte Pferde in ihrer natürlichen Schiefe häufig die Tendenz zu unkoordinierten Bewegungen und Gleichgewichtsschwankungen zeigen, wird klinisch in verschiedene Formen und Ausprägungen der Ataxie unterteilt, die diagnostisch klar von natürlichen Gangunregelmäßigkeiten zu unterscheiden sind. Ursächlich können erblich oder traumatisch bedingte Schäden des Kleinhirns, des Hinterstrangs des Rückenmarks oder der peripheren Nerven sein.⁴ Je nach Ausprägung und Ort der Läsion zeigen die Pferde mindestens eine von den folgenden drei neurologischen Abweichungen im Gangbild: Ataxie, Dysmetrie oder Schwäche.⁵

Die Ataxie, im englischen auch „Wobbler-Syndrom“⁵ genannt, bezeichnet hier das Symptom des unkoordinierten Gangs, welches beispielsweise bei Myopathien häufig fehlt.⁵

Die Dysmetrie, im englischen auch als „truncal sway“ bezeichnet, kann sich in einer Hypermetrie oder Hypometrie⁵ äußern. Die Hypermetrie entspricht einer überschießenden Bewegung, zum Beispiel bei einer Reflexantwort. Bei einer Hypometrie wird eine zu geringe Bewegung beobachtet, die Gliedmaße wirken eher steif und unbeweglich.

Die Schwäche zeigt sich in hypotoner Muskulatur, die tendenziell zu Atrophien neigt.⁵

 

Die spinale Ataxie beim Pferd

Eine spinale Ataxie entsteht nach Schädigung des Rückenmarks an einer oder mehreren Stellen durch ein Trauma, degenerative Veränderungen vor allem der Halswirbel oder Virusinfektionen.² Die häufigsten Formen der Ataxie sind die „Zervikale Vertebrale Stenos (CVSM) beim adoleszenten Pferd“ durch einen zu geringen Durchmesser des Wirbelkanals oder Inkongruenzen von zwei benachbarten Wirbeln, „CVSM durch Facettengelenksarthropathien beim adulten Pferd“ durch Anlagerungen und folgenden Rückenmarksstenosen, „Equine Degenerative Myelopathie (EDM) – Neuroaxonale Dystrophie (NAD)“, vermutlich hervorgerufen durch einen genetischen Hintergrund oder die in Folge einer Atemwegserkrankung entstehende „Equines-Herpesvirus-1-Myelopathie (EHM)“.⁵ Je nach Größe, Lage und Ursache der Rückenmarksläsion können die Symptome der Ataxie, neurologischen Dysmetrie und Schwäche unterschiedlich schnell und heftig auftreten und selten fluktuierend sein.⁵ Vor allem bei langsam voranschreitenden Pathologien schleichen sich die Symptome ein und werden häufig erst spät erkannt, wenn eine deutliche Schädigung der weißen und grauen Substanz oder isoliert der grauen Substanz vorliegt.⁵

Bei Schäden des Rückenmarks im Halsbereich sind alle vier Beine betroffen, da die Nervenstränge der hinteren Extremitäten auf ihrem Weg durch den Wirbelkanal beeinträchtigt werden. Liegt die Läsion caudal des 2. Brustwirbels sind lediglich die Hintergliedmaße betroffen,⁵ da die Nerven der Vordergliedmaße den Wirbelkanal bereits verlassen haben.

Bei einer „CVSM durch Facettengelenksarthropathien beim adulten Pferd“ verändern sich die Wirbelgelenke vor allem der unteren Halswirbelsäule. Durch Überlastung und wiederholte entzündliche Prozesse wird an den Gelenken eine übermäßige Wundheilung angeregt, die zu überfüllten Gelenken mit Anlagerungen an allen Seiten führt. Werden diese Anlagerungen zu groß und ragen nach medial in den Wirbelkanal, kommt es zu entzündlichen und im Verlauf degenerativen Prozessen meist der dorsalen und seitlichen Rückenmarkstränge

Die Diagnosestellung bei einer degenerativ hervorgerufenen spinalen Ataxie erfolgt in erster Linie über eine ausführliche Anamnese, Befunderhebung und Beobachtung des Pferdes. Weiterführend kann eine röntgenologische Untersuchung Aufschluss über die Größe des Schadens geben, auf Wunsch des Besitzers können weiterführende Untersuchungen wie Szintigraphie, CT und MRT durchgeführt werden.⁵

Die tierärztliche Therapie bei einer CVSM kann je nach Schweregrad der strukturellen Schädigung, bisheriger und geplanter Nutzung des Tieres und Wunsch des Besitzers auf vier verschiedene Weisen erfolgen. Das betroffene Pferd kann für einige Zeit ohne weitere Behandlung, oder bei röntgenologischen Befunden im Bereich der Facettengelenke mit Behandlung mit Korikosteroiden, für einige Zeit aus dem Training genommen werden. Eine weitere Möglichkeit stellt die operative Fixation des Wirbelgelenks dar N. Alle drei Behandlungen sollen den betroffenen Strukturen die Möglichkeit geben, die akute Entzündungsreaktion ohne zusätzliche Belastung durch Bewegung abheilen zu lassen und somit den Nerv wieder zu entlasten. Die vierte Behandlungsoption ist die Euthanasie bei schweren Krankheitsverläufen.⁵

Bei Läsionen von Gelenken ist zusätzlich zu den Knochen, Bändern und kapsulären Strukturen auch die umliegende Muskulatur betroffen. Die physiologische Antwort auf eine traumatische oder degenerative Veränderung ist eine Erhöhung des Muskeltonus in diesem Bereich, um das Läsionsgebiet zu entlasten und zu schützen. Bei Schäden der unteren Halswirbelsäule sind vornehmlich die ventralen Hals- und Schultermuskeln betroffen, es reagieren aber auch deren Antagonisten im dorsalen Bereich mit einer Schutzspannung. Folgende Muskeln sind bei einer Läsion des unteren Halswirbelbereichs besonders in Gefahr zu verspannen und somit ihrer physiologischen Aufgabe in der Bewegung nicht oder nur eingeschränkt nachkommen zu können. Zum einen sind die kurzen Mm. multifidii und Mm. intertransversaria, die die einzelnen Wirbel untereinander stabilisieren und Erschütterungen ausgleichen, erheblich betroffen, da sie direkt an die Läsion angrenzen. Der M. serratus ventralis, M. semispinalis capitis, M. longus capitis, M. longissimus atlantis und der M. longus colli haben alle ihren Ursprung zwischen dem dritten und dem siebten Halswirbel und somit direkt im Läsionsgebiet. Der M. longissimus colli, M. scalenus medius et ventralis, M. Longissimus und der M. spinalis ziehen im Bereich zwischen dem zweiten und siebten Halswirbel an die Wirbelkörper. Auch sie liegen damit häufig direkt im Gebiet Läsion.⁶

Durch die eingeschränkte Funktion der tief im Körper liegenden wirbelsäulennahen Muskulatur, deren Aufgabe es vor allem ist, das Läsionsgebiet zu schützen und ruhig zu stellen, können auch die darüberliegenden Muskeln nur noch eingeschränkt arbeiten. Hierzu zählen vor allem der M. omotransversarius, die hyoidale Muskulatur, die im Sternumbereich entspringt, der M. brachiocephalicus und dorsal der M. traspzius und auch der M. rhomboideus.⁶

Durch Fehlfunktion dieser Muskulatur können Einschränkungen in der Beweglichkeit der Halswirbelsäule und der Schultergliedmaßen auftreten, da eine normale Kontraktion durch die Verspannungen nicht mehr möglich ist. Weiterhin verlaufen zwischen den Muskeln die Nerven der Vordergliedmaße, insbesondere des Plexus brachialis, der medial der Scapula liegt und bei Irritation zu Sensibilitätsstörungen im Vorderbein führen kann.¹⁵

 

Quellen zu diesem Artikel: 

2) Dietz, O. & Huskamp, B. (1999). Handbuch Pferdepraxis (2. völlig neu bearbeitete Auflage). Stuttgart: Enke

3) Duus, P. (1995). Neurologisch-topische Diagnostik. Anatomie – Physiologie – Klinik (6. überarbeitete Auflage). Stuttgart, New York: Thieme

4) Ebelt-Paprotny, G. & Preis, R. (Hrsg.). (2012). Leitfaden Physiotherapie (6. Auflage). München: Elsevier

5) Gehlen, H. (2017). Differenzialdiagnosen Innere Medizin beim Pferd. Vom Leitsymptom zur Diagnose. Stuttgart: Enke

6) Grönberg, P. (2002). ABC of the horse. Atlas. Helsinki: Otava

11) Sitzer, M. & Steinmetz, H. (2011). Lehrbuch Neurologie. München: Urban & Fischer

12) Speckmann, E.-J. & Wittkowski, W. (2015). Handbuch Anatomie. Bau und Funktion des menschlichen Körpers. München: Elsevier

14) Trepel, M. (2008). Neuroanatomie. Struktur und Funktion (4. neu bearbeitete Auflage). München, Jena: Urban & Fischer

15) Wieland, M., Schebsdat, C., Rentsch, J. (2018). Bewegungsapparat Pferd. Praxisbezogene Anatomie und Biomechanik (2. Auflage). Stuttgart: Thieme